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Normal People – eine Buchrezension

Was macht ein gutes Buch aus? Sind es spannende, actionreiche Momente, unerwartete
Wendungen oder komplexe Handlungsstränge?

Sally Rooneys Roman „Normal People“ hat nichts davon zu bieten. Dennoch handelt es sich
um ein sehr empfehlenswertes Buch, weil es den Leser zum Nachdenken bringt und ihn
herausfordert, seine eigene Situation zu hinterfragen. Die Autorin schreibt über Jugendliche,
die auf der Suche nach sich selbst sind und ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden
können. Sie schildert die Gefühle der Figuren auf eine ehrliche, nachvollziehbare Weise und
schafft es, Ängste, Sorgen und Hoffnungen unserer Generation authentisch darzustellen.
„Normal People“ ist eine emotionale Geschichte mit tiefgründigen Gesprächen, in der
sensible und ernste Themen behandelt werden.

Inhalt

Der Roman erzählt eine unkonventionelle Liebesgeschichte, ohne typische Klischees und
klassisches Happy End:
Zwischen Connell und Marianne besteht eine tiefe Verbundenheit und sie teilen ein Interesse
an Politik und ihre Liebe zu Büchern. Die gemeinsamen Gespräche sind geprägt von einer
Offenheit und Ehrlichkeit, die sie mit anderen Menschen nicht erleben. Doch im Verlauf des
Romans wird ihre Liebe immer wieder auf die Probe gestellt. Gesellschaftliche Normen und
unterschiedliche familiäre Umstände stehen einer Beziehung im Weg. Die Perspektiven und
Erlebnisse beider Personen werden abwechselnd von einem Er/Sie-Erzähler beschrieben.

Warum sich das Lesen lohnt

Die Protagonisten in diesem Roman unterscheiden sich deutlich von den idealisierten,
oberflächlichen Figuren, die man häufig in kitschigen Liebesgeschichten findet. Die Autorin
zeigt uns Menschen mit Selbstzweifeln und Ängsten. Sie erschafft Personen, die Fehler
machen, Schwächen haben und sich manchmal selbst im Weg stehen. Gleich zu Beginn des
Buchs werden gesellschaftliche Normen und die Bedeutung des sozialen Status thematisiert.
Connell nämlich möchte die Beziehung zu Marianne geheim halten, da sie in der Schule eine
Außenseiterin ist und von ihren Klassenkameraden gemobbt wird. Dieses Verhalten lässt ihn
dem Leser direkt unsympathisch erscheinen. Dennoch ist sein Handeln realistisch, weil es zu
einem Jugendlichen passt, der von anderen akzeptiert werden möchte und sich danach
sehnt, Teil einer bestimmten sozialen Gruppe zu sein. Dadurch verdeutlicht Sally Rooney
herausragend, wie uns die Meinung anderer beeinflussen kann und welche Rolle
gesellschaftliche Erwartungen in unserem Leben spielen.

Genauso passend hebt sie hervor, wie die Umstände das Leben einer Person prägen. Denn
Connell kommt aus einem armen Haushalt und muss neben der Schule arbeiten, um sich
seine Bildung finanzieren zu können. Im Gegensatz dazu ist Mariannes Familie sehr
wohlhabend. Dieser Unterschied führt zu vielen Missverständnissen und sorgt dafür, dass
Connell glaubt, nicht gut genug für Marianne zu sein. Damit macht die Autorin darauf
aufmerksam, welche Schwierigkeiten und Ängste mit finanziellen Problemen einhergehen. Es
wird deutlich, dass einige Menschen Connells Situation nicht wirklich nachempfinden können.
Im Gegenteil, manche Leute in seinem Umkreis halten sich für besser und betrachten ihn
herablassend.

Außerdem thematisiert der Roman die Folgen von häuslicher Gewalt. Marianne wird von
ihrem älteren Bruder körperlich und psychisch misshandelt. Immer wieder erhebt er die
Stimme gegen sie oder wird handgreiflich. Noch schlimmer sind seine Beleidigungen und
fiesen Worte, die mittlerweile schon zum Alltag gehören. Auch nachdem sie aus ihrem
Elternhaus ausgezogen ist, beeinträchtigen diese Erfahrungen ihr Leben. Sie entwickelt
beispielsweise Minderwertigkeitsgefühle. Marianne glaubt, dass sie keine Liebe verdient hat.
Daher gerät sie immer wieder in Beziehungen mit gewalttätigen Partnern, die sie nicht
respektieren. Ihre traumatische Kindheit begleitet sie während des ganzen Romans und es
kostet sie große Überwindung, Connell nach langer Zeit die ganze Wahrheit über ihre Familie
anzuvertrauen.

Man sieht, dass Sally Rooney kein Blatt vor den Mund nimmt und viele gesellschaftliche
Konzepte und Rollenbilder kritisiert. Ihre Beschreibungen sind durch Empathie und
Verständnis ausgezeichnet, weshalb man sich leicht mit den Figuren identifizieren und ihren
Gedankengängen folgen kann. Sie schreibt eine herzzerreißende Geschichte voller
Traurigkeit und Selbstzweifel. „Normal People“ ist ein Roman über Menschen, die das Gefühl
haben, eben nicht normal zu sein und nicht in unsere Gesellschaft zu passen. Das wirft beim
Leser viele Fragen auf: Ist es erstrebenswert, zur Norm zu gehören? Gibt es überhaupt eine
Norm, oder fühlt sich nicht jeder insgeheim irgendwie Fehl am Platz? Wie sehr sollte das Bild,
was andere von uns haben, unser Leben beeinflussen?

„Normal People“ ist keine leichte, unterhaltsame Lektüre. Aber manchmal muss man genau
solche Romane lesen, um die eigenen Wertvorstellungen zu reflektieren.

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